KölnerLeben – Der Podcast für Senioren

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Ackern bis achtzig? Arbeiten im Rentenalter

Philipp Haaser · 04.06.2025

Manche wollen, manche müssen – immer mehr Menschen arbeiten im Rentenalter. KölnerLeben wirft einen Blick in diese Lebenswelten.

Freitagabends spürt Dietmar Baier, was er geleistet hat. Der Frisör im Ruhestand hat dann acht Stunden Arbeit in den Knochen. „Es gibt Tage, da würde ich gerne hinschmeißen“, sagt er und spricht von „Höllentagen“. Aber so recht will der drastische Ausdruck nicht passen. Denn kurz darauf sagt der 65-Jährige über den letzten Abschnitt seines Arbeitslebens auch, er sei froh, bis zum Schluss in seinem „Traumberuf“ zu arbeiten.

Im „Dellbrücker Haarstudio“ arbeiten sie an diesem Freitag zu dritt: die Inhaberin, Baier und eine weitere Aushilfe. Die Stimmung ist gelöst. Kundinnen, Kunden und Personal plaudern und scherzen, erzählen von den großen und kleinen Dingen des Lebens. „Manche kommen seit dreißig Jahren zu mir“, sagt Baier. Er kennt ihre Geschichten. Und ihre Haare. Im Schaufenster hängt ein Zettel, mit dem Baiers Chefin und „liebe Freundin“ Monika Krupp nach Verstärkung sucht, bislang ohne Erfolg. Auf Baiers Hilfe könne sie nicht verzichten: „Adäquaten Ersatz zu finden, wäre sehr, sehr schwer“, sagt die Friseurmeisterin. Und Baier ergänzt: „Es ist ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden.“

Er freut sich aber auch, dass er so wenigstens einen Tag in der Woche unter Menschen ist. Der Austausch, die Geselligkeit gehörten immer zu seinem Alltag. Sein Lebenspartner starb während der Corona- Pandemie. Der Job ist ihm seitdem noch wichtiger. „Ich brauche das, um nicht zu vereinsamen“, sagt Baier.

Weiterarbeiten erwünscht

Aber Baier hat auch noch einen anderen Grund. Er gehört zur wachsenden Zahl von Menschen, die das Ruhestandsalter erreichen und weiterarbeiten, um ihren Lebensstandard finanzieren zu können. Er hat sein Leben lang gearbeitet und würde doch nur knapp auskommen. Angesichts von Inflation und steigenden Mieten sieht er deshalb wenig Alternativen zu seinem Minijob im Friseursalon.

Die gesetzliche Rente ist für viele Menschen in Deutschland die einzige Absicherung im Alter. Sie reicht in immer mehr Fällen nicht aus. Das hat mit dem sinkenden durchschnittlichen Rentenniveau zu tun, das eine Folge der Politik der vergangenen Jahrzehnte ist. Aktuell liegt die Rente im Schnitt bei 48 Prozent der Löhne, 1991 waren es noch 54 Prozent. Außerdem wurde das Renteneintrittsalter sukzessive auf 67 Jahre hochgesetzt. Als Begründung wird mit der Finanzierung der Rentenkassen argumentiert, Stichwort: demografischer Wandel. Immer weniger Beschäftigte müssen für immer mehr Rentnerinnen und Rentner Beiträge bezahlen. Gleichzeitig fehlen in vielen Branchen Fachkräfte. Damit mehr Menschen nach dem Erreichen des Rentenalters weiterarbeiten, gibt es inzwischen verschiedene Anreize. So kann entweder parallel zum Rentenbezug ohne Hinzuverdienstgrenze gearbeitet werden oder dieser kann komplett auf einen späteren Zeitpunkt verlegt werden – was der Staat mit einer Erhöhung der Rente honoriert.

Die Auswirkungen dieser Reformen zeigen sich bereits. Der Anteil der Erwerbstätigen stieg laut Statistischem Bundesamt von 2013 bis 2023 bei den 60- bis 64-Jährigen von 50 auf 65 Prozent, bei den 65- bis 69-Jährigen von 13 auf 20 Prozent, bei den noch Älteren von 5 auf 9 Prozent. Eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung auf der Grundlage von Zahlen aus dem Jahr 2024 zeigt, dass 38 Prozent der Ruheständler zu irgendeinem Zeitpunkt seit ihrem Renteneintrittsalter gearbeitet haben. Knapp ein Drittel gab laut Statistischem Bundesamt 2023 die finanzielle Notwendigkeit als Hauptmotiv an. Hinzu kommt: Viele Menschen sind im Ruhestand fit und wollen tatsächlich arbeiten, statt „zu Hause auf dem Sofa zu sitzen“. Und oft trifft beides zu.

Mini-Jobs gehen immer

Die Mehrzahl der Menschen, die neben der Rente arbeiten, wird als Minijobber bezahlt. Unter den 65- bis 74-Jährigen waren es 2023 nach einer Befragung knapp über die Hälfte. „Die 500 Euro nehme ich gerne mit“, sagt Bernd Seifert. Er ist seit 2015 verrentet. Vorher hat er im Kölner Jugendamt gearbeitet und unter anderem internationale Austauschprogramme betreut. Der Ruhestand habe sich als „langweilige Geschichte“ herausgestellt. Also fährt er für eine Apotheke Krebsmedikamente aus, im Stadtgebiet und in der Region. „Der Job ist auch ein Zeitvertreib, wenn man so will“, sagt er.

Wenn er im Einsatz ist, kommen im Schnitt 300 Kilometer am Tag zusammen. Während er den kompakten Lieferwagen durch die Stadt steuert, merkt man, dass ihm Navigation, Berufsverkehr und Geschwindigkeitskontrollen einiges abverlangen. „Abends bin ich gut geschafft“, sagt er. Seifert sei nicht auf das Geld angewiesen. Vor der Rente hatte er sich aber vorgenommen, viel zu reisen. Dafür kann er das Geld gut gebrauchen. Nachdem er zuletzt Osteuropa bereist hat, soll es Ende dieses Jahres nach Vietnam gehen.

Wenn „die Alten“ der Nachwuchs sind

Langfristig wird der Anteil der Rentner steigen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und damit länger in die Rentenversicherung einzahlen. Das hilft nicht nur gegen Altersarmut, von der insbesondere Frauen betroffen sind. Es soll auch der Wirtschaft helfen, den Fachkräftemangel zu lindern. Nachwuchs zu finden, ist in vielen Branchen schwierig. Die Erfahrenen zu halten, könnte sich deshalb auszahlen.

Dr. Leonie Koch, nicht zu verwechseln mit einer TV-Moderatorin gleichen Namens, hat mit zwei Mitstreitern vor fünf Jahren das bundesweite Netzwerk „Change Maker 50PLUS“ gegründet. Sie fordern einen Kulturwandel, mehr Veränderungsbereitschaft von Unternehmen und Beschäftigten. „Die Unternehmen müssen aufwachen“, sagt Koch. Es sei notwendig, kreativ zu werden, um ihren älteren Beschäftigten Entwicklungen zu ermöglichen, bis zum Renteneintritt und darüber hinaus. „Sie müssen mit klugen Aufgaben weiterbeschäftigt werden, die Spaß machen und genug Geld bringen“, sagt sie.

Und die Beschäftigten sollten sich überlegen: Wie halte ich mich fit, geistig und körperlich? Wie will ich mich vielleicht noch verändern? Wenn Ältere sagen, „das mit der Digitalisierung schaffe ich nicht mehr“, will Leonie Koch das nicht zwangsläufig gelten lassen. Sie sieht die Gefahr der „Selbstdiskriminierung“.

Linda Sydow ist das offenkundig fremd. Die 67-Jährige arbeitete zuletzt in der Pressestelle einer Bundesbehörde als Redenschreiberin und war für Publikationen und Veranstaltungen zuständig. In ihrem „Ruhestand“ arbeitet sie zwei- bis dreimal in der Woche in einer Bäckerei, „um mit den kölschen Weibern zu quatschen“, gibt Nachhilfe in Deutsch und vermittelt ihre beruflichen Erfahrungen an Nachwuchskräfte, indem sie als Coachin Schreib- und Rhetoriktrainings anbietet. „Ich bin sicher alt“, sagt sie. Sie rät aber allen in ihrem Alter, sich nicht kleinzumachen.

Sie selbst sei in ihrem Beruf, nachdem die Kinder schon früh aus dem Haus waren, „immer konsequenter, professioneller und konzentrierter“ geworden. „Ich glaube, viele Ältere arbeiten so viel zuverlässiger, dass das die vielleicht fehlende Schnelligkeit aufwiegt. Sie sind nicht ständig krank, weil sie sowieso immer Wehwehchen haben. Und die meisten freuen sich auf die Abwechslung, die der Job bietet“, sagt Sydow. Auch die Angst vor befristeten Verträgen sei sicher seltener. Den Personalverantwortlichen rät sie zu mehr Mut: „Lasst uns doch einfach Probe arbeiten! Ihr werdet sehen: Wir haben immer noch viel zu geben.“

Über diesen Podcast

KölnerLeben ist ein Medium der Stadt Köln für die ältere Kölner Bevölkerung. Es informiert über wichtige soziale und kulturelle Themen. Hören Sie Beiträge, die Sie interessieren! Lesen Sie mehr im KölnerLeben Magazin, das alle 3 Monate zum 1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember erscheint und kostenfrei zum Mitnehmen in allen Kölner Bezirksrathäusern, Bibliotheken und vielen Apotheken ausliegt. Das Magazin und viel mehr online unter www.koelnerleben.koeln.

von und mit KölnerLeben. Die Podcasts werden produziert von Redaktion Köln-Kompakt des atz e.V., Hörmedien für Sehbehinderte und Blinde; bis 2022: David Korsten

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