KölnerLeben – Der Podcast für Senioren

KölnerLeben – Der Podcast für Senioren

Gut informiert älter werden.

Transkript

Zurück zur Episode

Ans Licht geholt

Vor dem Historischen Rathaus entsteht über der Archäologischen Zone das „Museum im Quartier“ – kurz MiQua. KölnerLeben wirft einen Blick über den Bauzaun.

„Diese Mauern erzählen Stadtgeschichte – von der römischen Zeit über die Gotik bis in die Neuzeit hinein“, schwärmt Grabungsleiter Michael Wiehen. So treffen im Keller des ehemaligen Hauses „Koppe“ vor dem Rathaus verschiedene Epochen aufeinander, überlagern sich in Schichten. Das alles soll eines Tages im „MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier“ verständlich aufbereitet zu sehen sein.

Hinter einer mittelalterlichen Backsteinwand entdeckte das Team das erhaltene Mauerwerk einer römischen Therme. Durch deren heute noch sichtbaren Schächte verteilte sich vor rund 1.800 Jahren die warme Luft einer sogenannten Hypokauste, einer Art römischer Fußbodenheizung. „Das Mauerwerk der Therme unterscheidet sich durch die regelmäßige Anordnung der römischen Ziegel deutlich vom mittelalterlichen Kellergewölbe“, erklärt der Wiehen. Ebenso unterschiedlich wie die Bauweisen – so verdeutlichen die archäologischen Funde – ist auch die städtebauliche und architektonische Struktur der verschiedenen Quartiere: „Das mittelalterliche Judenviertel ist kleinteiliger, wuseliger als das römische Machtzentrum an der Stelle, wo heute das Historische Rathaus steht“, erklärt Wiehen.

Dass die Römer damals ihr Handwerk verstanden, macht auch der Bauleiter Matthias Zoppelt deutlich: „Ich habe große Hochachtung vor der Baukunst der Römerzeit“, sagt der Ingenieur. Dabei ist die Technik, mit der die archäologischen Funde heute gesichert, für die Nachwelt erhalten und für das neue Museum aufbereitet werden, nicht weniger spektakulär und ausgefeilt. „Wir nutzen auf dieser Baustelle fast alle Technologien, die man im Tiefbau und Spezialtiefbau nutzen kann“, sagt Zoppelt.

Im Labyrinth der alten Mauern

Der Bau nimmt Formen an – über der Erde, wo das große Stahlskelett die Umrisse des Museums erahnen lässt, und vor allem auch im noch weitaus größeren unterirdischen Teil. Es sieht freilich noch überall nach Arbeit aus. Der über 600 Meter lange, teils schon betonierte, teils noch unbefestigte Besucherrundgang führt durch ein Labyrinth aus alten Mauern. Er schlängelt sich durch die Kellergewölbe der Häuser des ehemaligen Juden- und des Goldschmiedeviertels. Vorbei am Judenspital, am Armenhaus, an einer der ältesten Synagogen diesseits der Alpen, führt er weiter zum Kultbad Mikwe und durch den römischen Statthalterpalast, dem Praetorium, das als Teil des Limes zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. In den oberen Stockwerken soll in Vitrinen ausgestellt werden, was Wiehen und sein Team unten zutage gefördert haben. „Wie eine Kathedrale“ werde sich die Stahlkonstruktion über die Funde wölben. Auf einem „Balkon“ könnten sich die Interessierten zu Beginn des Rundgangs einen Überblick über große Teile der Ausgrabungen verschaffen und von den Kellern bis zum Rathausturm blicken, so der Archäologe. Denn die Stahlrauten der Hülle werden am Ende mit durchsichtigem Glas und Spolien, Fragmenten historischer Natursteine, geschlossen.

Was Steine erzählen

Manchmal liegen weltliche Größe und allzu menschliche Bedürfnisse nahe beieinander, so auch in diesem ältesten Viertel der Stadt: Mit einer Kelle so klein wie ein Tortenheber untersucht Archäologe Christoph Aronica, was in der mittelalterlichen Latrine des Hauses „Lyvermann“ die Zeit überdauert hat. Wahre Schätze hat das archäologische Team hier und an anderer Stelle schon geborgen – Geschirr aus der Römerzeit zum Beispiel, eine Schiefertafel mit hebräischer Inschrift und Kinderspielzeug, Würfel aus Tierknochen. Da die Latrinenkammer von Lyvermanns stillem Örtchen unterhalb des Synagogenhofs natürlich nicht auf dem kürzesten Weg – nämlich von oben – geleert werden durfte, hatte der Hausherr findig einen „Sonderweg“ entwickelt: Wenn es mal wieder an der Zeit war, wurde der Latrineninhalt durch einen Gang im Hauskeller entsorgt. Über der Öffnung des Stollens hat das Grabungsteam eine hebräische Inschrift freigelegt, eine Art Gebrauchsanweisung, noch heute deutlich sichtbar. „Dies ist das Fenster, durch das die Exkremente ihren Weg nehmen“, steht dort in Stein gemeißelt. „Wenn das Museum eröffnet ist, werden die Leute vor dieser Inschrift stehen und Selfies machen“, prophezeit Wiehen. „Hier klebt überall Mittelalter an den Wänden – es ist da und man kann es lesen.“

Plötzlich umplanen ist normal

Außergewöhnliche Funde wie die Inschrift gehören zu den vielen Überraschungen bei den noch laufenden Grabungen. Sie machen immer wieder Umplanungen notwendig. So war ursprünglich direkt neben den hebräischen Lettern ein Fahrstuhlschacht vorgesehen, dessen Bau die Inschrift gefährdet hätte. Also wurde der Schacht um einige Meter versetzt und nicht vor Ort gegossen, sondern als Fertigteil angeliefert. Was in einem Satz erklärt ist, erforderte natürlich umfangreiche Abstimmungen zwischen allen Beteiligten und einen immensen Aufwand.

Apropos Aufwand: Jede Kellerwand wurde in einem speziellen Verfahren bis zu einer Gründungstiefe von 16 Metern unterfangen, um die Standsicherheit zu gewährleisten. Dabei waltete größte Vorsicht, oft wurden die Bohrer auf Schneckentempo verlangsamt, damit die Funde keinen Schaden nahmen. „Die Menschen, die hier unten arbeiten, sind sensibilisiert und wissen um die Bedeutung der Mauern“, erklärt Wiehen. Alle gemeinsam versuchen sie, nicht nur das Mauerwerk zu erhalten, sondern auch die verschiedenen Erdschichten und -profile. Sie mussten gerade im jüdischen Viertel wegen der hier einst ausgeübten Handwerke wie dem des Goldschmieds erst von Schwermetallen wie Quecksilber, Arsen und Blei befreit werden.

Jeder Durchgang von Keller zu Keller ist individuell geplant, jede Mauer wird versiegelt und „bleibt allerdings sichtbar und auch mit allen Sinnen begreifbar“, wie Wiehen verspricht. „Wir konnten dieses Museum nur an diesem Ort bauen“, sagt der Grabungsleiter und fügt hinzu: „Das ist die spannendste und faszinierendste Baustelle, die es gibt. Das Projekt glänzt einfach. Es wird die Sicht auf die Stadtgeschichte verändern.“

Über diesen Podcast

KölnerLeben ist ein Medium der Stadt Köln für die ältere Kölner Bevölkerung. Es informiert über wichtige soziale und kulturelle Themen. Hören Sie Beiträge, die Sie interessieren! Lesen Sie mehr im KölnerLeben Magazin, das alle 3 Monate zum 1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember erscheint und kostenfrei zum Mitnehmen in allen Kölner Bezirksrathäusern, Bibliotheken und vielen Apotheken ausliegt. Das Magazin und viel mehr online unter www.koelnerleben.koeln.

von und mit KölnerLeben. Die Podcasts werden produziert von Redaktion Köln-Kompakt des atz e.V., Hörmedien für Sehbehinderte und Blinde; bis 2022: David Korsten

Abonnieren

Follow us